Autor: Nils Berg | 09.05.2022
Im Rahmen einer Veranstaltung in der Landesvertretung Rheinland-Pfalz in Berlin haben das Haus des Dokumentarfilms (HDF) und das Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) den Roman Brodmann Preis erstmals vergeben. Die Filmschaffenden Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski konnten sich mit ihrem Werk „Das Hamlet-Syndrom“ die erste Ausgabe des Preises sichern. Der in einem Kiewer Theater gedrehte Film dokumentiert die Proben einer modernen Hamlet-Adaption und macht auf die Gewalt- und Kriegserfahrungen der „Generation Maidan“ aufmerksam. Mit dem Preis soll dem politischen Dokumentarfilm die gebührende Anerkennung beigemessen und der freie Journalismus gewürdigt werden.
Sasha Filipenko: „Lügen und Propaganda sind schlimmer als Drogen“
Neben der Preisvergabe am Abend wurde die Veranstaltung zunächst durch ein ganztägiges Kolloquium begleitet. Durch den Krieg in der Ukraine und die damit einhergehende Zensur, Repression und Verbreitung von Desinformationen seitens der russischen Regierung stand die Premiere der Veranstaltung unter dem Motto „Medienfreiheit im Ausnahmezustand“. Nach einer Begrüßung durch Ulrike Becker (HDF) und Dr. Leonard Novy (IfM) eröffnete der belarussische Schriftsteller Sasha Filipenko, der selbst für das russische Fernsehen gearbeitet hat das Kolloquium mit einer sehr persönlichen Rede über seine eigenen Erfahrungen mit dem Propagandaapparat Putins. Das russische Staatsoberhaupt bezeichnete er nicht nur als Aggressor des Ukraine-Krieges, sondern auch als Opfer seiner eigenen Desinformationspolitik und mahnte an: „Lügen und Propaganda sind schlimmer als Drogen“.
Anschließend folgte eine Keynote der ARD-Vorsitzenden und RBB-Intendantin Patricia Schlesinger über die Pressefreiheit. Hierin konstatierte sie die in Russland zu beobachtende Unterdrückung der freien Meinungsäußerung, entfachte jedoch zugleich Hoffnung: Mit jedem Interview aus den zerstörten Städten, mit jedem Bild von geretteten Menschen würde „Gegengeschichte geschrieben“ und im besten Fall „Wahrheit dokumentiert“. Der politische Dokumentarfilm nehme hierbei die bedeutende Rolle als Zeitzeuge ein, der wider dem Vergessen und mit der notwendigen zeitlichen Distanz über solche Ereignisse berichten kann, so Schlesinger. Für die daran anknüpfende Diskussion wurden Olga Beskhmelnitsyna (ukrainische Produzentin), Viktoria Leshchenko (Programme Director, Docudays UA) sowie Tanja Georgieva-Waldhauer (elemag pictures/ Support Filmmakers Ukraine) auf das Podium gebeten. Sie würdigten die journalistische Leistung der Filmschaffenden in der Ukraine in einem besonderen Maße und zeigten dokumentierte Aufnahmen aus den kriegszerstörten Städten.
Demokratie in Gefahr
Noch vor der Mittagspause folgte ein Gespräch mit Dr. Tobias Lindner (Staatsminister im Auswärtigen Amt). Er umriss die Maßnahmen des Auswärtigen Amtes für die Arbeit der unabhängigen Presse vor dem Hintergrund des Krieges sowie den Umgang mit der russischen Propaganda. In diesem Kontext skizzierte er auch die Hilfsleistungen des Auswärtigen Amtes, insbesondere die Netzwerkförderung für Journalistinnen und Journalisten in der Ukraine und in den unmittelbaren Nachbarstaaten. Nach der Mittagspause eröffnete die zugeschaltete Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, den zweiten Teil des Kolloquiums mit einem eindrücklichen Appell zum Schutz der Medienfreiheit sowie zu einer Beendigung der Bedrohungen und Ermordungen von Journalistinnen und Journalisten. Daraufhin hielt die Gastgeberin und Staatssekretärin Heike Raab ein Impulsreferat, in dem sie das Zusammenspiel von Demokratie und Medienfreiheit betonte. Sie mahnte an: „Wenn Medienfreiheit in den Ausnahmezustand gerät, ist Demokratie in Gefahr“. Darauf aufbauend befasste sich das anschließende Panel vornehmlich mit der dokumentarischen Arbeit in diktatorischen Regimen. Diskutanten waren Eric Friedler (Leiter der Hauptabteilung Dokumentation SWR), Marc Wiese (Journalist und Filmemacher) sowie der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Christian Mihr. Moderiert wurde die Diskussion von Journalistin Astrid Frohloff.
Dr. Leonard Novy und Ulrike Becker, Sasha Filipenko, Patricia Schlesinger (v. l. n. r.)
In den darauffolgenden Panels wurde der Fokus auf den Dokumentarfilm gelegt. So suchten Franz Böhm (Regisseur und Produzent), Antje Boehmert (Executive Producerin, Regisseurin, DOCDAYS Productions), Cem Kaya (Drehbuchautor und Regisseur), Jutta Krug (Redaktion Dokumentarfilm, WDR), und Canan Turan (Filmwissenschaftlerin und Filmemacherin) unter Moderation von Journalistin Jenni Zylka zunächst eine Antwort auf die Frage, wie politisch ein Dokumentarfilm sei. Hierbei beschrieben sie den Dokumentarfilm als ein wichtiges mediales Werkzeug, um Veränderungen anzustoßen sowie als Mittel des „Empowerments“ für gesellschaftlich unterdrückte Minderheiten. Jedoch räumte Jutta Krug ein: „Mit Filmen grundsätzlich die Welt ändern, da wäre man blauäugig“. Unter erneuter Moderation von Jenni Zylka sprachen David Bernet (Vorsitzender, AG DOK), Dagmar Biller (Produzentin, TANGRAM Film und Vorstandsvorsitzende der Sektion Dokumentarfilm, Produzentenallianz), Felix Kempter (Executive Producer, Sky Original Dokumentaries) und Jana Zündel (Goethe Universität, Frankfurt am Main) im letzten Panel über die zunehmende Bedeutung von Streaming-Diensten für den politischen Dokumentarfilm. Hierbei ging es vor allem um strukturelle Probleme, Budgetfragen und Abwerbeprozesse.
Feierliche Preisverleihung
Bei der erstmaligen Vergabe des Roman Brodmann Preises hielt der Schweizer Publizist Roger de Weck die Festrede. In dieser rief er in Erinnerung, wie sehr die öffentlich-rechtlichen Medienunternehmen derzeit überall in Europa, nicht nur in Deutschland und in der Schweiz angegriffen würden: „Ihr Prinzip, gute Information für eine gute Demokratie, Darstellung, Inklusion und Integration von Minderheiten, Förderung des Kulturellen, also des Zivilisierten, das war früher breiter Konsens und ist es heute nicht mehr“. Als Ursache sieht er antiaufklärerische und antihumanistische politische Kräfte in ganz Europa, die den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks als tendenziös und parteiisch empfinden würden. In diesem Zuge äußerte er sich etwa auch kritisch über Bild-TV sowie die geplante Übernahme von Twitter durch den Tesla-Chef Elon Musk. Seine Rede schloss er mit einer Hommage an Roman Brodmann. Dieser habe den politischen Dokumentarfilm radikal neu erfunden. „Diejenigen, die in seinem Namen nominiert worden sind, und diejenigen, die den Preis schließlich tragen werden, können stolz darauf sein“, so de Weck.
Elwira Niewiera (l.), Sibylle Hanau-Brodmann (r.)
Die Jury um Esther Buss, Knut Elstermann und Anne Fabini zeichnete Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski für ihr herausragendes Werk aus. Sibylle Hanau-Brodmann, die Tochter von Roman Brodmann, überreichte den nach ihrem Vater benannten Preis feierlich an Elwira Niewiera. Der ausgezeichnete Dokumentarfilm „Das Hamlet-Syndrom“ ist jedoch noch nicht veröffentlicht worden. Der Kinostart ist für Herbst 2022 geplant, die Fernsehausstrahlung erfolgt nach Ablauf der Kinosperre zuerst auf ARTE und daraufhin beim SWR.
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