Diskussion zum TV-Duell zwischen Merkel und Steinbrück

TV-Duell zwischen Angela Merkel und Peer Steinbrück am 1. September 2013

„Zur Diskussion“ – Dokumentation der IfM-Veranstaltung und der DLF-Sendung im Wortlaut

Teilnehmer: Nikolaus Brender (ehemaliger ZDF-Chefredakteur), Lutz Hachmeister (IfM),

Giovanni di Lorenzo (Chefredakteur Die Zeit) und die Soziologin Jasmin Siri

Moderation: Stephan Detjen (DLF)

Stephan Detjen: Guten Abend, meine Damen und Herren im Haus der Bundespressekonferenz. Das ist eines der zentralen Foren des politischen Diskurses in Berlin, in dem wir uns hier befinden. Hier finden die großen Pressekonferenzen der Politiker statt – oben im Saal. Hier ist auch das Hauptstadtstudio des Deutschlandradios – dort oben in der sechsten Etage. Hier wollen wir das Duell, die Kanzlerdebatte, die wir hier eben mit vielen Gästen mit Journalisten, mit politischen Beobachtern, mit Hörerinnen und Hörern des Deutschlandfunks und Leserinnen und Lesern der Zeit – unseres Medienpartners – auf einer Großbildschirmleinwand verfolgt haben, hier wollen wir nun bewerten, diskutieren, analysieren. Wir mache das zum dritten Mal in Partnerschaft mit dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik, mit Lutz Hachmeister, der heute auch hier bei uns zu Gast ist und diese Diskussionsrunde wieder initiiert hat. Erste Frage in die Runde: Ganz einfach. Bei einem Duell stellt man erst mal fest: Beide Duellanten scheinen noch zu leben, aber es muss einen Sieger geben, es muss einen Verlierer geben. Wer hat gewonnen, Lutz Hachmeister?

Lutz Hachmeister: Das ist ein wenig so wie im Jahr 2009, wo Steinmeier besser war als erwartet. Also Steinbrück war für mich besser als erwartet. Er hat sich manchmal – wie üblich – in Zahlendetails verloren und so eine Art SPD-Soziologisch geredet, aber im Prinzip war er zupackender, besser im Stoff, hat sich stärker für die Sache selbst interessiert, während Frau Merkel auch mich enorm müde wirkte, warum auch immer gerade an diesem Abend. Vielleicht gibt es neue Umfrageergebnisse, die tatsächlich Rot-Rot-Grün wahrscheinlich erscheinen lassen. Um das gleich anzufügen, da hat sie Recht gehabt. Die SPD wird Rot-Rot-Grün machen, wenn es möglich ist ohne Steinbrück.

Stephan Detjen: Fragen wir erst noch mal alle Teilnehmer in der Runde. Gibt es Gewinner, Verlierer? Wir haben das eben während die Nachrichten im Deutschlandfunk liefen sehen können, die ersten Fernsehumfragen, die wir hier von den Kollegen der ARD hier auf der Leinwand noch sehen konnten, haben gesehen, dass die Zuschauer dort am Ende ein Patt gesehen haben. Herr di Lorenzo?

Giovanni di Lorenzo: Was schon ein großer Erfolg von Herrn Steinbrück ist, dass die Zuschauer insgesamt ein Patt sehen und für die Unentschlossenen mehrheitlich Steinbrück überzeugender war. Man hat heute Abend eine Ahnung davon bekommen, warum Steinbrück mal als guter Kandidat für die SPD galt. Ich fand ihn überzeugender in der Sache als die Kanzlerin, allerdings muss man auch sagen, die Kanzlerin wirkt wahrscheinlich auf die Zuschauer, auf die Mehrheit der Zuschauer, sympathischer.

Stephan Detjen: Herr Brender, hat Steinbrück nicht schon alle deswegen gewonnen, weil er nicht verloren hat?

Nikolaus Brender: Nein, ich will im Gegensatz zu dieser Veranstaltung dort heute Abend zu Beginn unserer Veranstaltung ihnen einen schönen Abend wünschen. Ich fand eindeutig, Steinbrück hat gewonnen, klar. Ich habe zwischenzeitlich noch meine konservative Peer-Group innerhalb meiner Familie angerufen und auch die hat eindeutig gesagt, Steinbrück war zupackender. Er war argumentativer. Er sorgte auch für Witz in der gesamten Diskussion. Ich glaube, das war ein eindeutiger Punktsieg für den Kanzlerkandidaten der SPD.

Stephan Detjen: Jasmin Siri, wie sehen Sie das?

Jasmin Siri: Ich bin unentschlossen. Einerseits fand ich Frau Merkel telegener. Sie war auch weniger nervös. Andererseits hat sie im Hinblick darauf, wie sie auf die Fragen geantwortet hat doch weniger Informationen und sehr sehr allgemeine Wertekommunikation betrieben. Wenn man jetzt wahlforscherisch denkt, dann ist es so, dass man Mobilisierung und Information als die Ziele von so einem Duell sieht. Eben Mobilisierung der eigenen Leute und Information – vor allem der Unentschlossen – und wenn er dann da gewonnen hat, dann muss man sagen aus der Wahlforschungssicht ist das schon ein großes Ding.

Stephan Detjen: Ich würde jetzt zunächst einmal auch als Frage an die ganze Runde die Beobachtung stellen, am Anfang ist von vielen gesagt worden, das wird ein langweiliges Duell, der ganze Wahlkampf ist themenarm, auch nach dem Duell vor der letzten Bundestagswahl hat sich viel Häme darüber ausgegossen. Claudia Roth, die Grünen-Politikerin, hat danach den schönen Satz geprägt, nach dem Duell Merkel gegen Steinmeier damals, das sei eine politische Luftgitarrenmeisterschaft gewesen. Wie viel Substanz gab es denn dieses Mal? Was ist ihnen inhaltlich besonders aufgefallen? Fangen wir mal andersrum an. Jasmin Siri?

Jasmin Siri: Mir ist aufgefallen, dass Außenpolitik eine geringere Rolle gespielt hat, als ich es mir erwartet hätte. Mir ist aufgefallen, dass Frau Merkel zur Gleichstellungspolitik sehr allgemein gesprochen hat, überhaupt, dass sie oft auf sehr allgemeine Werte referiert hat, wie Sicherheit, gute Arbeit und Herr Steinbrück, wie es Lutz Hachmeister schon gesagt hat, viel mehr Informationen gegeben hat, dabei aber manchmal sehr in Zahlenkolonnen gekommen ist, wo es mir auch schwer gefallen ist, ihm zu folgen.

Stephan Detjen: Herr Brender?

Nikolaus Brender: Naja gut. Ich denke, auch Wahlkampf bedarf Zahlen. Ohne Zahlen geht es auch im Wahlkampf nicht. Ich will vielleicht vom Stil das Ganze beurteilen. Ich glaube, das war das beste TV-Duell, das wir bislang gesehen haben von 2002 , über 2005 und 2009. Auch ist dieses Duell nicht vergleichbar mit dem Duell 2009. Steinbrück ist kein aktuelles Mitglied der Bundesregierung. Er hat keine Ablösungsängste und er hat eben auch keine Freundschaftsängste, wie Steinmeier damals das haben musste. Ich fand auch von Seiten der Moderatoren eine große Freiheit in einem solchen Rahmen. Sie haben bestimmte Regelverletzungen zugelassen, sowohl von der einen, wie von der anderen Seite der beiden Diskutanten, und haben selbst auch Regeln verletzt, aber nicht um das Ganze ad absurdum zu führen. Ich fand es aufklärend. Es ist nichts Neues gekommen an Argumenten, aber im Abgleich und in der Auseinandersetzung um Argumente, fand ich das nicht schlecht.

Stephan Detjen: Herr di Lorenzo, sie haben in der jüngsten Ausgabe ihrer Zeitung Der Zeit, wenn man das so knapp sagen darf, ein flammendes Plädoyer für Peer Steinbrück geschrieben, der darauf gesetzt hat, dass dieses Duell jetzt noch mal das Momentum dieses Wahlkampfes dreht nach den vielen Monaten des Stolperns, der Querelen, des unglücklichen Starts in diesen Wahlkampf, dass da doch nochmal ein Stimmungsumschwung kommen kann, der eine Aufholjagd für ihn dann einleitet, so wie das 2005 im Fernsehduell gewesen ist, als der damalige Kanzlerkandidat Gerhard Schröder auch aus einer ganz aussichtslosen Situation und dann, nicht zuletzt Dank des Duells, nochmal ganz nah an Angela Merkel herangekommen ist. Kann Steinbrück das jetzt auch gewinnen?

Giovanni di Lorenzo: Ich will jetzt nicht die Kandidaten da nachahmen, aber ich habe kein flammendes Plädoyer für Herrn Steinbrück gehalten und schon gar nicht für seine Partei, sondern ich habe flammend dafür plädiert, Steinbrück fair zu behandeln. Das habe ich im ganzen Wahlkampf bislang nicht erlebt und ich finde das in jeder Hinsicht problematisch, sowohl für unseren Berufsstand als auch demokratietheoretisch, wenn sich so eine Wucht gegen einen Kandidaten niederschlägt.

[Applaus]

Giovanni di Lorenzo:Das ist das eine. Das Zweite ist, sie haben diese Behandlung auch schon in den ersten drei Fragen an Steinbrück ganz gut beobachten können. Die erste Frage war, warum schwappt ihnen nicht eine Welle der Zustimmung entgegen? Sie sind im Rückstand. Es geht schon los, als Interview mit einem Loser. Die zweite Frage war, tut ihnen Herr Steinbrück leid, Frau Merkel? Also auch eine großartige Intonierung für ein Gespräch. Die dritte Frage war, ist es nicht schiere Verzweiflung, die sie antreibt? Das, finde ich, ist die Tonlage bislang gewesen im ganzen Wahlkampf und ich sage nochmal, wir müssen da zu einem anderen Verfahren kommen, weil nicht wir müssen dem Wähler sagen, der eine ist gut, der andere ist schlecht. Es muss letztlich der Wähler entscheiden.

Das ist, was ich demokratietheoretisch schwierig finden, wenn sich alle auf einmal auf jemanden einschießen. Sie haben die Frage gestellt, was ist haften geblieben. Ich fand Steinbrück schwach, als es um die Pensionen ging. Da hat es mich auch gewundert, dass auf die Retourkutsche der Kanzlerin, er nicht nochmal das Wort ergriffen hat, weil das ganz gewiss große Ängste weckt bei den Berufsgruppen, die die Kanzlerin dann auch direkt angesprochen hat. Ich fand die Kanzlerin ganz schwach im ganzen NSA-Komplex. Da ist natürlich die Crux, dass das ein Thema ist, dass die Deutschen offenbar nicht besonders empört und aufregt, aber ich bin auch der Meinung des Kollegen Brender. Es war vielleicht ein in Teilen etwas zu langes Duell, aber es war ein gutes Duell. Ich fand schade, dass das eine oder andere nicht vertieft werden konnte. Diese Klage ist praktisch systemimmanent und ich fand bis auf den Einstieg, den ich gerade beschrieben habe, auch die Moderatoren gut. Insbesondere fand ich, dass sich wiedereinmal bewahrheitet hat, Stefan Raab ist nicht der Untergang des Abendlandes.

[Applaus]

Stephan Detjen: Jetzt hat Giovanni di Lorenzo ganz viele Stichworte geliefert. Ein ganz wichtiges ist die Rolle der Medien im Wahlkampf auch im Umgang mit Peer Steinbrück in der Erzeugung von Stimmen. Darauf würde ich gerne im Lauf dieser Diskussion noch intensiv zurück kommen. Ich will aber zunächst Lutz Hachmeister auch noch mal ganz generell die Frage geben, was fanden sie inhaltlich besonders auffällig an dieser Diskussion auch im Vergleich mit anderen Diskussionen? Wo war für sie die stärkste Substanz dieser politischen Diskussion?

Lutz Hachmeister: Es war schon eine sehr konservative Diskussion, die auf die Sicherheit des Normalbürgers setzte. Also die politischen Journalisten haben sich komplett in die Rolle der Befragten begeben also der Parteien. Das stimmt, dass Außenpolitik, die vielleicht immer wichtiger wird – auch durch Globalisierungseffekte – und durch das was wir technologisch erleben, durch das Internet absolut viel zu kurz kam. Man hat immer noch das Gefühl, man wohnt in der Bundesrepublik der fünfziger Jahre, wenn man die Diskussion verfolgt hat. Das ist vielleicht dem Publikum geschuldet, aber auch einer gewissen Publikumsverachtung.

Also man kann sagen, dass nach einer solchen Diskussion sich die Piratenpartei, wenn sie sich nicht selbst zerlegt hätte, sie mühelos über die Fünfprozenthürde gekommen wäre, weil jüngere Leute, die sich das anschauen sagen, das ist überhaupt nicht meine Welt. Ihr seid hier komplett versackt in der Lebenswelt der 60 und 70-Jährigen, in Pensionen und Renten und Telemedizin, die ja anscheinend unglaublich wichtig werden wird, damit die armen Menschen auf den Dörfern, die keinen Arzt mehr haben über so Telegeräte behandelt werden können, und das war der Tenor dieses Gespräches. Ich würde auch Nikolaus Brender da komplett widersprechen. Er muss das sagen, weil er mal verantwortlich war als ZDF-Chefredakteur, natürlich …

Nikolaus Brender: Das ist genau eine so fiese Unterstellung, wie sie teilweise in gut geführten Duellen vorkommt.

Lutz Hachmeister: Aber natürlich sind zwei Duelle à 60 Minuten einfach besser. Man schaltet da zwischendurch ab. Man kann das einfach als Nutzer, als Rezipient nicht so verfolgen, gerade wenn es ins Detail geht und da gebe ich Nikolaus Brender Recht, natürlich muss man mal ins Detail gehen, sonst kann man über Politik nicht diskutieren, aber so 90 Minuten hintereinander mit vier Moderatoren, ich glaube jeder hier im Saal ist irgendwann mal kurz weggenickt und im letzten Drittel wurde es dann wieder lebendig.

Stephan Detjen: Jasmin Siri ist das eben aufgefallen. Die ganze Welt schaut auf Syrien derzeit und wir wussten gestern noch nicht, ob wir diese Diskussion in einer Situation erleben, in der Syrien angegriffen wird durch amerikanische, durch britische Truppen. Das kam ganz am Ende – etwa zehn Minuten vor Ende dieser Diskussion zur Sprache. Frau Siri, als Soziologin gefragt, war denn diese Runde mit dieser Gewichtung der Themen, so wie wir sie auch in anderen Duellen auch erlebt haben, tatsächlich so nahe an den Wählerinnen und Wählern, an den Zuschauern, wie das eben anklang?

Jasmin Siri: Jedes Format stellt sich sein Publikum vor und stellt dann die Fragen oder gibt dann die Antworten, von denen es denkt, dass es funktioniert. Das ist im Wahlkampf sicher ganz besonders so und es wäre auch sehr naiv von den Wahlkämpfenden, wenn sie nicht gucken würden, was wollen die Leute denn hören und zumindest ansatzweise darauf eingingen. Mir ist aufgefallen, also das Format prägt dann auch sehr, was wir Rezipientinnen und Rezipienten erleben, mir ist aufgefallen, dass es schwer ist vier Moderatorinnen und Moderatoren zu folgenden, weil die alle eine eigene Art und Weise einbringen und eine eigene Beziehung aufbauen müssen. Ich finde man hat auch gemerkt, dass es auch den beiden Akteuren so schwer viel – also Frau Merkel und Herrn Steinbrück – immer zu switchen. Das ist eine Beobachtung, die es vielleicht auch nicht leichter macht, dem Ganzen gut zu folgen.

Stephan Detjen: Herr Brender, es ist in dem ganzen Wahlkampf auffällig, dass bestimmte Themen, die auch in der medialen Wahrnehmung die dominierenden Themen unserer Zeit sind, etwa Europa, in dem Wahlkampf an sich von den Parteien auch in den Programmen, insbesondere was die Union angeht, fast komplett ausgeblendet wurden. In der Diskussion gab es dann doch, fand ich, eine ganz intensive, auch faktenreiche Diskussion über die Fragen, die sich in der Frage der Eurorettungskrise zur Zeit stellen. Wie haben sie das erlebt?

Nikolaus Brender: Ich würde in einem Punkt, insofern nehme ich ihre Frage auf, und gebe aber denke ich auch noch eine andere Meinung, als Herr Hachmeister sie geliefert hat wieder. Sie haben völlig Recht, dass Vieles nicht diskutiert worden ist. Die gesamten Zukunftsfragen, Fragen der Demografie. Alle die großen Fragen, die wir im Wahlkampf vermissen …

Einwurf: Asyl …

Nikolaus Brender: Asyl, aber gleichzeitig haben sich die Fragen im Grunde dem angenähert, was in der gesamten Publizistik diesen Wahlkampf begleitet. Insofern war es nicht nach außen getragen, das stimmt. Im Übrigen gab es Punkte zur Eurokrise in der Tat, die sowohl kontrovers als auch verständlich auf der einen Seite waren. Da glaube ich sollten wir nicht den Fehler machen zu sagen, es muss sehr allgemein diskutiert werden und Daten beziehungsweise Fakten und Zahlen widersprechen einem lebendigen Wahlkampf. Ich finde das gehört dazu. Leute können lesen. Leute können denken und sie können nachrechnen. Insofern hat dieses Duell in manchen Momenten seine Verdienste gehabt im Vergleich zu den anderen. Wir kommen ja nochmal zum Format. Da bin ich völlig ihrer beiden Meinung, dass ist natürlich ein Unsinnsformat. Vier Moderatoren gegen zwei Protagonisten.

[Applaus]

Nikolaus Brender:Da ist das Alleinstellungsmerkmal, das deutsche Alleinstellungsmerkmal wieder bestens gelungen.

Stephan Detjen: Aber sie waren als ZDF-Chefredakteur selbst daran beteiligt, dieses Format auszuhandeln. Wie kam es dazu?

Nikolaus Brender: Nein. Wir hatten, als ich 2002 Chefredakteur war, zwei Duelle mit jeweils zwei Moderatoren. Das war auch kompliziert, weil die Vereinbarung der Einzelheiten bis in die Einstellung der Kamera ging. Es durften keine beweglichen Bilder gesendet werden. Es wurde die Höhe der Kamera im Vergleich zum Gesicht genau ausgemessen – sowohl des Kandidaten als auch des Herausforderers. Es war bis in die letzte Sekunde alles bemessen.

Giovanni di Lorenzo: Aber nach meinem Kenntnisstand ist es diesmal zu dieser Konstellation gekommen, weil die Kanzlerin nur ein Duell wollte.

Nikolaus Brender: So ist es. Genau.

Giovanni di Lorenzo: Ich glaube, am Sinnvollsten wäre es, wenn wir zwei Duelle hätten. Eins von den Öffentlich-Rechtlichen und eins von den Privaten. Dann hätte man deutlich auch einen anderen Ton bei den beiden Duellen.

Nikolaus Brender: Weil er gefragt hat, ob ich mitgemacht habe. Natürlich. Es blieb uns nichts anderes übrig. Wir hätten sagen können, nein, wir machen nicht mit. Das stimmt. Dann war die Frage, entweder keines oder eins. Es ist auch in diesem Duell einiges passiert. Das Kanzleramt hat ganz klar gesagt, wir wollen das Duell drei Wochen vor der Wahl haben. Es war üblich 14 Tage vor der Wahl. Auch da die Frage, übrigens auch an die SPD, warum habt ihr mitgemacht – auch an die beteiligten Sender? Wir wollen lieber eines statt keines. Das käme der Kanzlerin entgegen. Im Übrigen, und dann höre ich auch gleich auf, es gab am 19. September eine sogenannte Berliner Runde, geplant mit allen Spitzenkandidaten. Auch diese Runde hat Frau Merkel verweigert, weil sie nicht mit den anderen Spitzenkandidaten an einem Tisch sitzen und nicht diskutieren will. Was machen sie, wenn das Kanzleramt Nein sagt?

Lutz Hachmeister: Da stellt sich grundsätzlich die Frage nach der Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Ich glaube nicht, dass ARD und ZDF abgeschafft würden, wenn sie sich da verweigert hätten oder eine dritte Instanz als Mediation eingeschaltet hätten. Carl Schmitt hat das die Prämie auf den Machtbesitz genannt, was Angela Merkel da ausspielt, also sozusagen die …

Nikolaus Brender: Es sind nicht nur die Öffentlichen – auch die Privaten sind dabei.

Lutz Hachmeister: Ja, aber die Öffentlich-Rechtlichen haben vielleicht noch ein anderes Grundethos und sagen, wir lassen uns da nicht hin- und herschieben, so wie Willi Steul einfach mal heute das Duell überträgt ohne Genehmigung, wie so ein Piratensender. Es geht also. Man kann auch …

Nikolaus Brender: Aber Herr Hachmeister, die Frage ist doch bei diesem Duell, wäre der Wahlkampf besser gelaufen, wären die Informationen, die ein solches Duell gegeben hat mit allem drum und dran, ist es besser, das nicht zu haben? Das ist doch die Frage.

Giovanni di Lorenzo: Haben sie ihn eben in einem freudschen Fehler Herrn Herres genannt?

Nikolaus Brender: Nein, Lutz Hachmeister.

Stephan Detjen: Lutz Hachmeister, der Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik ist angesprochen gewesen. Ich möchte jetzt gerne noch eine Frage mal in den Raum stellen, auch weil angesprochen worden ist, dass wir als Deutschlandfunk auch unsere Auseinandersetzung damit hatten. Die Radioübertragung sollte von den Fernsehveranstaltern nicht zugelassen werden. Wenn man nach Amerika schaut, da ist das ganz selbstverständlich. Natürlich hat da jeder Zugang dazu. In dem Land, in dem diese Form der Auseinandersetzung erfunden worden ist, wird die von einer unabhängigen Organisation organisiert, die dann selbstverständlich allen Medien auf allen Seiten, nicht nur auf der übertragenden Seite, sondern auch auf Seite der Fragesteller die Möglichkeit sieht, sich daran zu beteiligen. Ist das völlig undenkbar? Ist das praktisch unmöglich, dass in Deutschland irgendwann mal auf andere Beine zu stellen?

Lutz Hachmeister: Ich will nur eine Schwäche noch dieses Formats anmerken. Das ist der Schluss. Also diese …

Stephan Detjen: Also da müssen wir zunächst die Frage beantworten, ob es sinnlos ist, darüber nachzudenken, ob man das anders organisieren kann?

Lutz Hachmeister: Es gibt nicht nur das TV-Duell. Es gibt auch noch viele andere Formate, fast zu viele Formate zum Wahlkampf. Das darf man nicht isoliert betrachten. Es gibt viele andere Möglichkeiten der Kandidaten, sich zu präsentieren. Hier bei euch zum Beispiel mit Deutschlandfunk, Phoenix, Deutsche Bank, gab es eine Reihe in der – glaube ich – Merkel und Steinbrück noch einmal separat aufgetreten sind. Der Unterschied zu diesen amerikanischen Duellen ist kulturell bedingt. Da federt Obama über die Bühne. Da gibt es ein lebendiges Publikum. Da wird viel stärker mit Pathos die Zukunft entworfen. Das ist Teil des Medien- und Politiksystems. Ob man das hier hinbekommt, weiß ich nicht. Es ist eben so ein bisschen verstaubt und versotten, wie es heute Abend wieder war. Da freut man sich über jeden Witz – wirklich. Deswegen bin ich Peer Steinbrück auch dankbar, oder Stefan Raab, der zum Schluss ein bisschen zugelegt hat. Ein Satz zu Stefan Raab. Er zeigt auch, dass man den politischen Journalismus auch von seinem Pedestal herunterholen muss. Wenn Stefan Raab das kann, dann können das auch viele hier in diesem Raum.

Stephan Detjen: Insgesamt war die Fragendenrunde lockerer als die bei dem letzten Duell, wo das extrem statisch abgelaufen ist. Herr di Lorenzo, sie haben das auch gesagt, gerade in Hinblick auf Stefan Raab, über den viel spekuliert wurde.

Giovanni di Lorenzo: Auch Anne Will war gut. [zitiert Will] Die schärfste Waffe, die sie einsetzen können, ist wenn sie einem ihrem Minister das volle Vertrauen aussprechen. Das war richtig gut.

Stephan Detjen: Ist denn, Herr Brender, die Rechnung aufgegangen, von der sie eben erzählt haben, dass es die Spekulation Angela Merkels gewesen sein muss, sich einer solchen Auseinandersetzung nur ein einziges Mal zu stellen, denn ab dann könnte sie nur verlieren?

Nikolaus Brender: Es ist ganz klar. Warum akzeptiert sie nicht mehr die 14-Tagesfrist? Weil für sie der Wahlkampf ein Hochsicherheitstraktes ist und nicht ein Auditorium in dem Auseinandersetzungen von Ideen behandelt werden. Das war der Grund. Das heißt, in drei Wochen kann ich natürlich Patzer, Eindrücke, Stimmungen, noch einigermaßen gut machen. In 14 Tagen wird es schon schwieriger. Sie hatte Angst vor einem Patzer und dem Verlust eines solchen Duells. Deswegen hat sie darauf bestanden, es drei Wochen vorher zu machen. Ich glaube, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Ich persönlich, also das ist natürlich immer ein Empfängerhorizont. Ich glaube, dass es durchaus auch eine Form der Solidarisierung mit dem Kanzerlkandidaten gibt. Im Grunde auch, weil der Start, was die Presse anging, ein nicht besonders guter war. Das wird ihm möglicherweise helfen und wird nicht der Kanzlerin nützen.

Stephan Detjen: Frau Siri, sie haben sich als Soziologin an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit der Rolle, mit der Bedeutung auch mit dem Wandel von Parteien beschäftigt, auch mit dem Wandel von politischer Kommunikation in der digitalen Mediengesellschaft. Es ist viel darüber berichtet worden in diesem Wahlkampf, dass die Parteien in ihren Profilierungen nicht mehr klar erkennbar werden. Gerade auch dadurch, wie Angela Merkel den Wahlkampf führt, wie sie ihn in der ganzen Legislaturperiode vorbereitet hat. Hat sich das in dem Duelle auch widergespiegelt? War es ein nicht-polarisiertes Duell?

Jasmin Siri: Also ich habe das selber wahrgenommen, dass Frau Merkel sehr deutlich immer wieder Konflikte entschärft hat. Sie wurde angesprochen auf Herrn Seehofer und sagte, dann werden wir uns zusammensetzen und uns schon irgendwie vertragen. Das ist jetzt nicht der Wortlaut, aber ungefähr in die Richtung, aber wenn man denn soziologisch über Politik nachdenkt, dann geht es da um Regierung und Opposition, dann geht es auch um den Konflikt, der demokratietheoretisch nicht unwichtig ist, den auch zu erleben und auszudiskutieren. Das finde ich interessant, das kann man aber leider erst in 30, 40 Jahren sich angucken, warum das in dieser Phase so stattfindet. Es ist interessant wo ganz viel passiert: NSU-Morde, Prism, also es gibt ganz viele Antagonismen und gleichzeitig haben wir eine Kanzlerin, die das wegentschärft und die lächelt und Herrn Steinbrück an sich heranzieht und sagt, wir hatten es schön. Das kann man leider erst retrospektiv … Ich kann darüber jetzt eigentlich noch nicht reden, aber ich habe das Gefühl, dass wir uns das in zwanzig Jahren anschauen werden anhand von Dokumenten wie dem Transkript von diesem TV-Duell.

Stephan Detjen: Herr di Lorenzo?

Giovanni di Lorenzo: Na, ich fand, dass ein paar Dinge angesprochen worden sind, die schon dann auch wahlentscheidend sind und erklären, warum die Werte der SPD so katastrophal sind. Sie sind katastrophal. Man hat gedacht, das Ergebnis von vor vier Jahren sei ein einmaliger Ausrutscher. Das ist es leider nicht. Das ist, dass die SPD sich ganz kapriziert hat auf die Vertretung jener, denen es im Land nicht so gut geht, während das allgemein vorherrschende Gefühl ist, es geht uns besser, wem auch immer dann das Verdienst zukommt. Da war doch ganz klar angesprochen, der eine will die Steuern erhöhen und sie hat gesagt, es wird mit uns keine Steuererhöhungen geben. Im Übrigen wissen wir auch, sagte Frau Merkel, wer mehr Kompetenz hat mehr Arbeitsplätze zu schaffen, nämlich die Unternehmer selbst und nicht die Politiker. Das ist schon eine Richtung, die für dieses Land ziemlich entscheidend ist und dazu kommt noch in der Europapolitik, ich glaube, dass die Leute denken, die Frau Merkel, die schon hilft, aber bei den Prinzipien schon streng bleibt, gegenüber diesen Halodristaaten da im Süden. Da sind wir besser aufgehoben, als bei einer SPD, die möglicherweise jedem das gibt, was im Namen des politischen Friedens verlangt wird.

Stephan Detjen: Herr Brender, wie sehen sie das. Hat diese Debatte, die wir hier erlebt haben, die Konturen in den Wahlkampf gebracht, die Alternativen nachzeichnen können, die wir nach der Beobachtung vieler Medien, bisher vermisst haben.

Nikolaus Brender: Also einmal glaube ich, diese großen Zukunftsthemen, die Herr Hachmeister benannt hat, die natürlich eine andere Debatte entwickelt hätten auch hier, hätten gerade die Kanzlerin zu ihrem nebulösen, sehr verallgemeinernden Positionen gebracht. Das hätte nichts gebracht. Das war schon richtig, die einzelnen Sachpunkte zu erläutern. Warum eigentlich nicht? Nun muss man sagen, das sagt auch der BDI, eines kann man den Grünen und der SPD nicht vorwerfen, dass sie nicht ehrlich sind. Sie wollen Steuererhöhungen. Der grüne Ministerpräsident Baden-Würtembergs war der einzige, der die Frage der Beamten-Pensionen auf die Tagesordnung gebracht hat – und das während der Wahlen.

Giovanni di Lorenzo: Trittin hat sogar gesagt, er will den Umbau der Gesellschaft. Es sind wirklich klare Ansagen.

Nikolaus Brender: Da wird eine Demokratie, oder werden Parteien, unabhängig welche es sind, in einem solchen entscheidenden Moment diese Wahrheit aufbringen. Dann muss ich sagen, Respekt! Ich gebe ihnen in der Konsequenz an der Wahlurne aber Recht. Ich glaube, es wird sich nicht auszahlen. Übrigens, wie es auch 2005 sich für Frau Merkel nicht ausgezahlt hat. Ich habe zwei Interviews dabei, die sind zum selben Zeitpunkt geführt worden. Im Juli 2005 und im Juli 2013. Die müssen sie mal nachlesen, dann wissen sie, warum Frau Merkel heute so argumentiert, weil sie mit dem, was sie das letzte Mal gesagt hat, Deutschland steht vor dem Scheideweg, wir müssen die Gesellschaft erneuern, wir müssen ran. Nichts mehr davon, weil sie damit verloren hat.

Giovanni di Lorenzo: Allerdings, es ist schon wahr, was Lutz Hachmeister ganz am Anfang angesprochen hat, es wurde sozusagen nur innerhalb der Parameter unserer politischen Klasse argumentiert. Das große Thema und das immer größer werdende Thema, dass die größte Partei heute die Partei der Nichtwähler ist, numerisch und ich fürchte wir werden eine ganz schlechte Wahlbeteiligung haben am 22. September, an die ist auch heute Abend nicht gedacht worden. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass schon in der Fragestellung der Moderatoren, aber auch als demokratischer Impuls der beiden Kontrahenten eine Ansprache da gewesen wäre. Sie überlegen, vielleicht auch dieses Jahr nicht zur Wahl zu gehen? Und warum es wichtig ist, an dieser Wahl teilzunehmen, warum Politik etwas Spannendes ist. Auch daran ist der politische Diskurs der letzten Jahre ein bisschen Schuld gewesen. Warum? Weil wir Politik nur noch erzählen als Kette von Skandalen, die meistens ausgelöst werden durch Nichtigkeiten. Das führt zu einem Prozess der Entpolitisierung. Ein bisschen, weil die wirklichen Probleme in den Hintergrund treten, zum anderen weil natürlich Skandale und Skandalisierung viel spannender sind, als die harte Arbeit, wie das Gesundheitssystem endlich ein bisschen gründlicher reformiert werden könnte.

Stephan Detjen: Das Sprechen sie die Rolle der Medien an. Ich würde gerne nochmal Jasmin Siri bitten, weil sie sich mit Parteien beschäftigt hat. Welchen Anteil Parteien haben, die auch Akteure sind und auch abbilden, welche Wandlungsprozesse sich in einer Gesellschaft beobachten lassen, in der Milieus an Bindungskraft verlieren, in der Sozialisation nicht mehr so stattfinden, wie das in der alten Bundesrepublik mal stattgefunden hat.

Jasmin Siri: Es gibt Studien, unter anderem von Franz Urban Pappi, und die ist sehr viel stabiler als wir so denken. Es ist nicht so, dass alles postmodern auseinanderdiffundiert. An der Wahlurne sind die Leute dann doch immer stabiler, als sie vorher sagen. Es gibt eine ganz lange, und darüber habe ich auch geschrieben, darüber habe ich auch promoviert, eine ganz lange Krisenerzählung in der Politik in der Bundesrepublik Deutschland ab Gründung und ab Wahlrecht und ab der gescheiterten Revolution von 1848, gibt es sowohl in den Medien als auch in den Wissenschaften, als auch in den Parteien selbst auch diese Krisenerzählung. Politik ist in der Krise. Und das muss nicht so sein. Das könnte auch anders sein. Ich will da Herrn di Lorenzo sehr Recht geben. Ich finde es auch wichtig, dass man in der Berichterstattung, aber auch wissenschaftlich innerhalb der Parteien, sich Gedanken macht, was es bedeutet, wenn man stets nur darüber redet, was alles doof ist. Damit meine ich nicht, dass es keine Skandale mehr geben wird, weil die sind medieninherent, auch politikinherent, aber dass man sich schon überlegt, ob man Sendungen macht darüber, wie dumm Menschen eigentlich sind, die wählen gehen.

Stephan Detjen: Die Münchner Soziologin Jasmin Siri ist das, in der Diskussion, die wir hier in der Diskussion im Deutschlandfunk aus dem Atrium der Bundespressekonferenz übertragen. Ich will das erklären für die Zuhörer des Deutschlandfunks, die sich vielleicht erst später eingeschaltet haben. Mit uns sind der ehemalige ZDF Chefredakteur Nikolaus Brender, Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Zeit und Lutz Hachmeister, der Direktor des Instituts für Medien- und Kommunikationspolitik. Ich mache jetzt eine Zäsur an dieser Stelle, weil, was wir hier tun, tun zur Zeit viele in unseren Medien, nämlich dieses Kanzlerduell analysieren, es bewerten und aus unserem Hauptstadtstudio, oben hier in der sechsten Etage ist jetzt meine Kollegin Verena Herb zu uns gekommen, die in der halben Stunde, die jetzt vergangen ist seit dem Ende des Duells, beobachtet hat, was in anderen Medien eigentlich bewertet wird, was da gesagt wird, ob da klare Gewinner oder Verlierer ausgerufen werden. Verena Herb, wie sieht das den aus?

Verena Herb: Und genau das ist es. Es werden keine klaren Gewinner, keine klare Gewinnerin ausgerufen. Alle sind sind sich mehr oder weniger einig, dass es ein klassisches Patt gegeben hat, ein Unentschieden und man ist sich auch einig, dass es in diesem TV-Duell keine Überraschungen geben habe, also klar war, dass Peer Steinbrück aggressiver auftreten würde, das habe er dann auch im Vergleich zu Angela Merkel auch getan, während Angela Merkel eher bedächtig, eher im Erklärungsmodus viel Redezeit in Anspruch genommen hat, um sich zu erklären. Und dann gab es zur Halbzeit auch Ergebnisse, wie die Zuschauer das gesehen haben, die dann befragt wurden von der ARD. Wer war überzeugender? Auch da ist ein klares Unentschieden zu erkennen. Wer die besseren Argumente zum Beispiel hatte, da sind Merkel und Steinbrück recht nah beieinander, auch was die Glaubwürdigkeit der beiden angeht. Da sind sie ungefähr gleich.

Interessant ist jetzt die Frage, wer wirkte sympathischer? Und da liegt, das war ungefähr nach 50 Minuten des Duells, zur Halbzeit ungefähr, Angela Merkel, vor Peer Steinbrück und sie wirkte auf mehr Zuschauer auch kompetenter als Peer Steinbrück, aber überzeugender letzten Endes habe Peer Steinbrück gewirkt. Also alles in allem hier ein klares Unentschieden. Interessant war es wohl zu beobachten, das haben mir die Kollegen oben gesagt, die Twitter, die Social-Networks beobachten, was da los war, während des Duells. Es war wohl ein wahnsinniger Traffic. Die Tweets rauschten nur so durch und es hat sich eine Paralleldebatte im Netz abgespielt, wo übrigens auch viele politische Journalisten mitgetwittert haben und schon ihre Meinungen kund getan haben und auch eifrig die Äußerungen der beiden Konkurrenten kommentiert haben.

Es sei ein recht guter Schachzug von Steinbrück gewesen, dass er die Zuschauer während des gesamten Duells immer mal wieder angesprochen habe. Was auch interessant war, dass auch die Politiker, also nicht nur die Journalisten, eifrig mitgetwittert haben. Sigmar Gabriel zum Beispiel, Renate Künast, Dorothee Bär von der CSU und das vielleicht als kleiner Hinweis zum Schluss, angelehnt an diesen berühmten Satz von Peer Steinbrück, hätte, hätte Fahrradkette, hat ein wichtiges Utensil der Kanzlerin auch einen eigenen Twitteraccount bekommen. Das ist nämlich die Kette von Angela Merkel, nämlich die Deutschlandkette, die die Gemüter erregt hat und jetzt einen eigenen Account bekommen hat, @schlandkette. Die zwischenzeitlich über 4000 Follower hat, wo ein Tweet besonders rausgestochen ist. Ich hänge hier einfach so rum. Und ihr so? Wenngleich da auch direkt die Kritik hoch kam, dass die Deutschlandkette zumindest im Netz bislang mehr Aufmerksamkeit bekommen hat als die Antworten der beiden.

Stephan Detjen: Verena Herb, vielen Dank für die Eindrücke aus unserem Hauptstadtstudio. Das was Verena Herb uns jetzt erzählt hat, ist schon Teil dieser Bewertung und Interpretation, die jetzt einsetzt. Politiker, die sich sofort noch während der Debatte äußern über alle Kanäle, die ihnen zur Verfügung stehen, über Twitter. Das ist noch anders als vor vier Jahren gewesen, hat eine andere Dimension. Wir werden da sicherlich gleich mit Jasmin Siri, die sich gerade mit dem Phänomen wissenschaftlich beschäftigt hat, nochmal zu sprechen kommen. Lutz Hachmeister, diese Bewertung, dieses Ausrufen der Sieger Minuten nach der Sendung, das verschiebt sich dann aber nochmal und sie wissen aus der langjährigen Beobachtung solcher Duelle, welche Wellen wir da jetzt in den nächsten Tagen wieder erleben werden.

Lutz Hachmeister: Man nennt das die Bedeutungshoheit über das Duell. Jede Fraktion, jede Partei versucht ihren Kandidaten natürlich zum Sieger auszurufen. Das wird ein bisschen relativiert durch die Umfragen, die ich auch nicht so ernst nehmen würde, also ich glaube wir lagen mit unserem Urteil 2005 schon mal ziemlich richtig in dieser Runde, die so ähnlich zusammengesetzt war, dass wir da das Momentum für Schröder erkannt haben. Das gab es schon vorher, er hat es multipliziert durch das Duell und es hat ihm dann sehr geholfen an Merkel heranzukommen. Ganz so wird es bei Steinbrück nicht laufen, aber er ist relativ klar da besser rausgekommen, als die etwas müde wirkende Kanzlerin. Ich wollte noch etwas zu dem vorherigen Punkt sagen. Ich glaube, dass wenn man sich mal Willy Brandt vorstellt bei einer solchen Diskussion, das hätte es nicht gegeben.

Ich stelle das nur in den Raum. Also Willy Brandt hätte sich nicht in diese Einzelheiten reinzwingen lassen und das führt vielleicht zurück zu dem, was hier eben diskutiert haben, dass wir hier niemanden, ich will den merkwürdigen Begriff Vision vermeiden, aber dass wir hier niemanden, der so eine Art Zukunftsperspektive emotional vermittelt. Also wie nehme ich eine Bevölkerung, zumindest die Interessierten mit, um eine Perspektive für dieses Land in Europa, in der Welt, zu entwickeln, die auch etwas zu Herzen geht und die auch bestimmte Leitbegriffe hat. Das meinte ich damit, dass es hier in so halbe Prozentpunkte von Rentenversicherung wie mal am Ende der Weimarer Republik versandet, obwohl wir in einer anderen politischen Situation sind zum Glück, und das ist auch dem Format geschuldet. Dem Format, den Leuten, die daran teilnehmen, den Politikern. Es gibt ihnen nicht mehr die Chance zu sagen, wir kommen da aus diesem Klein-Klein, aus diesen Karos raus.

Stephan Detjen: Das ist eine Beobachtung, die sich nicht nur auf dieses Duell bezieht. Herr Brender, das scheint generell ein Phänomen unserer Zeit zu sein, dass Politiker mit großen Entwürfen nicht besonders erfolgreich sind. Erfolgreich sind die Parteien, die ihre Wandlungsprozesse auch sehr offen durchleben, wie die Union, die innerhalb einer Legislaturperiode von einer Atomkraftpartei zu einer Anti-Atomkraftpartei wird. Die Grünen haben ihre Wandlungsprozesse sehr offen durchlebt und durchlitten in der Gesellschaft und stehen sehr erfolgreich da. Das ist ein Phänomen unserer Zeit, das Lutz Hachmeister eben beschrieben hat.

Nikolaus Brender: Also ich glaube auch, dass es mit dem Format nicht zu viel zu tun hat, weil alle anderen Formate, die ich gesehen habe, auch in den letzten Wahlkämpfen, die es auch nicht leisten. Diese Kombination von Vision und durchaus angereichert mit Fakten, gibt es nicht. Das hängst sicherlich auch an den Journalisten, aber es hängt auch an den Politikern, mit denen es die Journalisten zu tun haben. Ich will vielleicht noch einmal auf das, was die Kollegin eben sagte. Dies ist etwas völlig Neues im Vergleich zu den anderen Duellen.

Wir hatten, ich weiß noch, das war 2005, glaube ich, hat die CDU sich strikt geweigert, dass wir direkt nach dem Duell Ergebnisse veröffentlichen, weil sie sagen, es ist nicht seriös ein Package zu machen bis Mitte der Duells, sondern es muss bis zum Ende geguckt werden und dann eine halbe Stunde, so eine Sperrzeit von 30 bis 45 Minuten. Dieses Oktroy kann sich keine Partei mehr leisten, weil im Netz, bei Twitter und überall, eine eigene Diskussion entsteht. Das finde ich im Grunde das Tolle an der Sache. Dieses Duell hat angeregt und Millionen, oder Abertausende diskutieren die Argumente.

Stephan Detjen: Herr di Lorenzo. Kann man das begrüßen einerseits? Toll so viele Menschen twittern da und gleichzeitig darüber klagen, dass es keine politischen Visionen, keine großen Entwürfe mehr gibt? Die passen in die 140 Zeichen von Twitter nun überhaupt nicht rein.

Giovanni di Lorenzo: Nein, ich finde, man kann darüber nicht klagen. Da bin ich anderer Meinung als Lutz Hachmeister, weil ich sie einfach mal frage, außerhalb von Sekten, wo sind denn heute die großen Visionäre? Etwa bei uns Journalisten? Das sehe ich auch nicht. Das liegt vielleicht auch daran, dass diese Probleme, die wir heute anpacken, so enorm kompliziert sind, dass keiner von uns da die Weisheit mit Löffeln gefressen hat und wer das vorgibt, da würde ich sagen, ist höchstes Misstrauen angebracht. Zusätzlich kommt noch hinzu, jeder Politiker, der sich heute in die Schlacht stürzt, egal welcher Partei, hat nicht nur meinen höchsten Respekt, sondern auch mein höchstes Mitgefühl, weil das ein furchtbarer Job geworden ist, wo du für ein Leben, das enorm anstrengend ist, das nicht übermäßig gut bezahlt wird, für jede Kleinigkeit eine Tracht Prügel beziehst, wie in keinem anderen Beruf das nur denkbar wäre.

Insofern muss man schon leider ein besonderes Rüstzeug mitbringen, um in diesen Beruf zu gehen. Ich kennen, ich kann das nur wiederholen, in meiner Generation habe ich wahnsinnig tolle politische Talente kennengelernt, an der Uni, an der Schule auch, als wir mal eine große Lichterkette organisiert haben gegen Rechtsextremismus und Ausländerhass, von denen ist keiner in die Politik gegangen und man muss sagen, ich kann mich da nicht ausnehmen, auch ich hätte vor diesem Job nicht nur den größten Respekt, sondern zum Teil auch …

Stephan Detjen: Jetzt würde ich sie gerne als Chefredakteur fragen. Gehen die denn in den Journalismus? Beobachtung von mir, in den Journalismus gehen die politisch engagierten Menschen auch nicht mehr so, jedenfalls nicht mehr so, wie sie das früher gemacht haben. Auch im Journalismus sehen wir die Veränderungen. Sie erleben das hautnah. In Hamburg da bestellt der Spiegel seinen neuen stellvertretenden Chefredakteur, sein Mitglied der Chefredaktion, hier von der Bildzeitung. Die Frankfurter Rundschau, die früher zuverlässig polarisiert hat, gehört inzwischen der FAZ. Also diese Veränderungen reichen weit in die Medien hinein.

Giovanni di Lorenzo: Ich finde …

Lutz Hachmeister: Hier schließen sich vier Sender zusammen – privat und öffentlich-rechtlich – um ein Duell zu übertragen. Das ist ein Zentrismus.

Giovanni di Lorenzo: Also auch wenn das jetzt nicht sonderlich populär ist, aber wir hier auch nicht im Duell sind und nicht auf Wähler Rücksicht nehmen müssen, ich finde die permanente Selbstdemontage von Parteien und Politikern, die wir betreiben, falsch. Und noch schlimmer finde ich die Selbstdemontage, die wir betreiben, in Richtung Print. Ich glaube, dass wir immer noch, unter Einschluss des Hörfunks und des Fernsehens, mit die besten Medien haben, auf der ganzen Welt und das, was wir im Moment gerade veranstalten, ist meines Erachtens der größte Akt der Selbstdemontage, den es seit Gründung des Industriegesellschaft gegeben hat. Ein Novum, ein sehr Trauriges.

Stephan Detjen: Jasmin Siri hat sich eben schon mehrfach zu Wort gemeldet, als das Stichwort Twitter fiel, auch als Verena Herb hier aus dem Hauptstadtstudio heruntergekommen ist, erzählt hat, was sich im Netz tut. Ich vermute, das ist, weil sie sich als Soziologin auch mit dem Phänomen Twitter in der politischen Kommunikation einer größeren Studie beschäftigt haben. Wie verändert das eigentlich politische Kommunikation? Ist das einfach nur eine Beschleunigung, Verknappung? Verändert sich da substantiell etwas?

Jasmin Siri: Naja. Jedes Medium funktioniert anders. Ein Interview mit einer Journalistin ist etwas anderes, als so eine Rund hier. Ich halte jetzt kein Referat über Twitter. Was interessant ist, ist, dass dort journalistische Menschen und Politikschaffende zusammen kommen und sich gegenseitig dann inspirieren. Man nennt das dann Multimedien-Effekte, glaube ich, in der Kommunikationswissenschaft und ich glaube, dass das nicht uninteressant ist, weil dann eben auch Menschen, die vielleicht nicht der politischen Klasse angehören, Themen setzen können. Denken wir nur an den Aufschrei, also an die Thematisierung von Alltagssexismus. Das ist möglich gewesen, auch durch so ein Medium. Ich glaube nicht, dass sich die Hauptstadtpolitik massiv dadurch verändert. Ich glaube, das so ein Wahlkampf, oder Politik überhaupt, aus ganz vielen unterschiedlichen kleinen Kontexten besteht, die zusammenspielen und dass es ist dann hochkomplex sich das anzugucken, aber nicht alles verändert sich, aber durchaus ist es eine andere Form der Kommunikation. Ich habe vorhin auch getwitter und mir angeguckt, was die Leute so schreiben.

Stephan Detjen: Was ist ihnen dabei aufgefallen?

Jasmin Siri: Beispielsweise auch die @schlandkette. Die Verballhornung der Kette, die dann nämlich gar nicht so deutsch sondern eher belgische Flaggenmerkmale aufwies und da gab es dann Empörung. Nein, aber es zeigt ja … Das ist nicht unpolitisch. Das Karikieren ist nicht unpolitisch und das zeigt, dass durchaus in dem Sinn, was Lutz Hachmeister gesagt hat, so ein Bedarf an Politik auch da ist. Ich habe gesehen, dass ganz viele Fachschaftsmenschen, ich habe ganz viele Soziologiestudenten, die folgen, online sind und die haben dann Antifazeichen, aber die gucken eben auch TV-Duelle, nehmen Teil an diesem großen Event und ich glaube, dass es eben deshalb auch wichtig ist, dass man eben sagt, dass ist der furchtbare Job, wie es Herr di Lorenzo eben gesagt hat, Politik ist ein ganz fieser Job und es ist alles ganz schlimm und man muss vielleicht auch sehen, dass es anders sein kann, oder daran arbeiten, dass es anders ist.

Giovanni di Lorenzo: Mir ist noch etwas aufgefallen, das in früherer Zeiten undenkbar gewesen ist. Man hat gemerkt, wie sowohl die Bundeskanzlerin, als auch der Herausforderer stellenweise wegen der Fragen gekocht haben, aber die haben sich unglaublich beherrscht. Stellen sie sich mal vor so ein Duell zu Zeiten von Helmut Kohl, oder zu Zeiten von Helmut Schmidt. Was da die Moderatoren zu hören bekommen hätten. Ich muss sagen, mir gefällt diese Version besser. Es zeugt auch von einem gewissen gegenseitigen Respekt.

Stephan Detjen: Herr Brender, wie sehen sie das? Lassen sie uns über politischen Journalismus sprechen. Giovanni di Lorenzo hat eben von einer ungeheuren Selbstdemontage gesprochen, aber es ist ohne Frage so, dass dem klassischen politischen Journalismus auch ein Stück seiner Deutungshoheit auch, die er mal gerne für sich in Anspruch genommen hat, genommen wird. Durch soziale Medien, durch andere Formen von Partizipation und dass sich der klassische politische Journalismus schwer tut, seine Formate zu finden. Wenn man sieht, die erfolgreichste Innovation des politischen Journalismus ist in ihrem ehemaligen Sender die Erfindung der Heute-Show gewesen, die sich in in gleichmäßiger Ironisierung über den ganzen politischen Betrieb hermacht. Man kann gut darüber streiten, ob das politischer Journalismus ist.

Nikolaus Brender: Der Heute-Show-Moderator hat den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis bekommen für guten Journalismus. Ich finde, gute Satire, politische Satire, muss einen Background haben, der sich mit dem beschäftigt, sonst ist es einfach schlechter Journalismus. Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen. Ich finde, der Journalismus sowohl im Print als auch im Fernsehen, haben jetzt ganz andere Chancen, die wir vor fünf oder zehn Jahren nicht hatten. Dort mussten wir jeder Aktualität hinterher rennen. Jetzt können wir neue Formate finden, oder wir müssen sie suchen, teilweise sehen wir sie auch im Fernsehen, finden wir sie auch, um auch wirklich dem Fundus auf den Grund zu gehen. Vielleicht nochmal um bei diesem Format zu bleiben. Ein solches Format hätte es in der Tat nicht gegeben in der Tat.

Kiesinger hat gesagt, es ziemt sich nicht eines Bundeskanzlers auf dem Stühlchen zu sitzen und zu warten, bis ihm das Wort erteilt wird, aber in der damaligen Zeit mit Willy Brandt, mit Strauss, mit Kohl, gab es stundenlange Debatten. Da wurde wirklich gefochten und gefetzt und diskutiert und geraucht und getrunken. Das war politische Auseinandersetzung. Da muss ich ihnen sagen. Das wäre mir auch lieber als ein solches Format. Nur, die Politik muss sich darauf einlassen. Wenn die Bundeskanzlerin sich weigert an einer Diskussion der Spitzenkandidaten teilzunehmen, dann hängt das genau damit zusammen, dass sie sich nicht auf das Niveau begeben will. Sie will nicht befragt werden, welche Koalitionsmöglichkeiten es ab dem 22. September gibt. Ein solches Format wäre mir viel lieber. Und wenn man dort eine Institution schaffen würde, Bundespressekonferenz und ähnliches, sozusagen alle Parteien zu solchen Formaten zu verpflichten, dieses Format hier, dieses Duell zu verändern, bin ich ihrer Meinung, wie ich übrigens auch der Meinung bin, dass nicht nur der Deutschlandfunk das zu übertragen hat, sondern dass alle Radiosender mitgehen sollen.

[Applaus]

Lutz Hachmeister: Ich glaube, da ist jetzt eine Tür geöffnet worden. Ich glaube, das ist jetzt auch nicht mehr rückholbar. Das wird wahrscheinlich auch so kommen. Was der politische Journalismus leisten könnte. Ich will das nochmal an einem Beispiel klarmachen. Mir ist das aufgefallen bei der NSA-Thematik. Man hat das Gefühl es geht um Datenüberwachung, um Geheimdienste. In Wirklichkeit geht es um Geopolitik. Es geht um Weltpolitik. Es ist die letzte große Waffe der USA, das Internet. Die großen Internetfirmen sitzen in den USA. Da wird auch Obama auch keinerlei Restriktionen anlegen. Die dürfen machen, was sie wollen. Die sollen im Prinzip den American Dream, wie es früher Hollywood gemacht hat, in die Welt tragen und da wird Militärgeheimdienstindustrie zusammengeschlossen und darauf hat Europa im Moment gar keine Antwort. Das heißt, das würde Frau Merkel auch nicht gefragt. Man hat das Gefühl, sie ist mit ihrer Neulanderzählung alleine gelassen worden. Da gebe ich dir Recht, Giovanni. Da war sie auch am Schwächsten. Man hat das Gefühl, sie schwimmt da total, hat keinerlei Leute, die sie da beraten. Es fehlt auch wirklich so ein Ministerium, so ein Komplex, wo das mal gebündelt wird. Ich glaube, da muss man stärker nachhaken, wenn man wirklich über diesen Tag hinaus denken will.

Stephan Detjen: Letzte Frage am Ende dieser Diskussion. Herr di Lorenzo, kriegt dieser Wahlkampf jetzt nochmal eine ganz neue Wendung, oder ist das, was wir hier gesehen haben, das was viele Wählerinnen und Wähler erwarten, der Einstieg in die große Koalition?

Giovanni di Lorenzo: Ich kann hier nur wiedergeben, was die Meinungsforschungsinstitute sagen, nämlich, dass es noch nie so viele Leute gegeben hat, die bis zur letzten Minute mit sich Ringen, was sie wählen sollen und vor allem leider auch, ob sie überhaupt zur Wahl gehen werden. Deswegen werden die Parteien besonders in den letzten 72 Stunden versuchen, zu mobilisieren. Das ist ein Novum in diesem Wahlkampf.

Stephan Detjen: Herr Brender?

Nikolaus Brender: Ja, ich gebe ihnen völlig Recht. Ich glaube das auch. Ich fürchte nur, Herr di Lorenzo, dass auch mit solchen Sendungen, auch mit anderen, wir an die wirklichen Nichtwähler nicht herankommen. Das hat etwas mit Wirtschafts- und Sozialpolitik zu tun und mit den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen hier in Deutschland.

Stephan Detjen: Frau Siri, bewegt diese Diskussion, die wir hier im Fernsehen erlebt haben, die Wähler? Erreicht sie die Nichtwähler und wer wird möglicherweise jetzt durch das erreicht, was sich jetzt auch über neue politische Kommunikationswege im Internet noch tun wird?

Jasmin Siri: Das waren viele Fragen und ich muss mich kurz fassen. Ich glaube durchaus, dass die soziale Schere, der Abstand zwischen arm und reich, größer wird. Das zeigen die Armutsstudien. Davon haben wir heute wenig gehört, aber das ist der Fall. Ich glaube auch, dass die Nichtwähler eine wichtige Gruppe sind. Dann kann man so Dinge überlegen, wie beispielsweise eine Wahlpflicht. Das sind Konzepte, die da in der Wissenschaft diskutiert werden. Es ist durchaus etwas, worüber man nachdenken kann, ob man so etwas beispielsweise einführt.

Giovanni di Lorenzo: Nein, Nichtwähler muss man überzeugen. Und damit meine ich nicht die Angehörigen der Elite, die sich ins Fernsehen setzen und ihre ganze Verachtung für den Betrieb zum Ausdruck bringen. Das finde ich skandalös.

Lutz Hachmeister: Konkretes Ergebnis der Debatte ist für mich, dass Rot-Rot-Grün gemacht wird, wenn es rechnerisch möglich ist. Dem hat auch Steinbrück nicht widersprochen. Wenn man genau hingehört hat. Also wenn es rechnerisch möglich ist, mit einer Mehrheit von drei bis vier Stimmen, wird es Rot-Rot-Grün geben. Die SPD hat keine andere Chance.

Giovanni di Lorenzo: Ich halte dagegen. Eine Kiste Brunello di Montalcino unter fünf Euro.

Stephan Detjen: Für alle, die es nicht sehen können, Handschlag zwischen Giovanni di Lorenzo und Lutz Hachmeister vom Institut für Medienpolitik, unseren beiden Partnern, mit denen wir diese Diskussion, diese Veranstaltung hier in der Bundespressekonferenz hier heute Abend auf die Beine gestellt haben. Vielen Dank ihnen, vielen Dank Jasmin Siri, vielen Dank Nikolaus Brender. Danke, hier im Saal, für ihre Geduld, für ihre Aufmerksamkeit. Das gleiche gilt unseren Hörerinnen und Hörern im Deutschlandfunk. Vielen Dank und auf Wiederhören.