Aus epd medien 20/23 vom 19. Mai 2023
epd Digitalisierung und Medienwandel, aber auch systeminterne Versäumnisse und Skandale wie beim RBB haben zu einer tiefen Legitimationskrise des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland geführt. Die Konferenz „Neustart ÖRR: Wie weiter mit ‚unseren Medien‘?“, die das Kölner Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) gemeinsam mit der Schöpflin Stiftung und der Initiative „Unsere Medien“ am 27. Februar in Berlin organisierte, stellte hierzu Lösungswege in den Mittelpunkt. Auf der Basis von Impulsvorträgen, die wir in dieser Ausgabe zusammen mit weiteren Beiträgen dokumentieren, diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zeitgemäße Modelle zur Organisation von gesellschaftlicher Beteiligung – mit Blick auf die Reform und den laufenden Betrieb öffentlich-rechtlicher Medien.
Die frühere WDR-Redakteurin Sabine Rollberg präsentiert eine ernüchternde Bestandsaufnahme: Vom Innenleben der öffentlich-rechtlichen Sender zeichnet sie ein verheerendes Bild. Innovation und Kreativität seien nicht mehr gefragt, stattdessen regiere eine kleine Entscheiderhierarchie, die nur auf Quoten fixiert sei und Günstlingswirtschaft betreibe. In diesem Zustand seien die Sender ein „El Dorado für narzisstisch gestörte Personen“. Eine Reform setze zwingend eine Veränderung der Machtstrukturen voraus, argumentiert Rollberg.
Die Strukturbedingungen der Medienordnung – und damit auch die des öffentlich-rechtlichen Systems – seien zu lange weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt worden, bemängelt lfM-Direktor Leonard Novy. Die Journalistin Khola Maryam Hübsch, Mitglied im HR-Rundfunkrat, erwartet von einer Gremienreform deshalb weniger Einflussnahme durch die Politik, eine bessere Durchmischung bei der Zusammensetzung sowie mehr fachliche Beratung. Eine echte Programmkontrolle sei sonst nicht möglich.
Hubert Krech, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse, fordert im Sinne der angestrebten „Good Governance“ der Sender auch die Einbeziehung von Redaktionsvertretungen in den Gremien. Er kritisiert zudem, dass die Medienpolitik die Berufsgruppe der Redakteurinnen und Redakteure bei der Einsetzung des Zukunftsrates für ARD und ZDF nicht berücksichtigte. Der Vorstandssprecher der Initiative Mehr Demokratie, Ralf-Uwe Beck, plädiert für eine Bürgerbeteiligung beim Zukunftsrat. Dieser „Bürgerrat“ könne die Vorschläge des Zukunftsrates diskutieren und anreichern.
Zur Konsultation der Öffentlichkeit abseits der Gremien stehen dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk verschiedene Methoden aus der Partizipationsforschung zur Verfügung. James Fishkin, Kommunikationswissenschaftler an der Stanford-University, empfiehlt hierfür sogenannte Deliberative Polls, die Befragungsmethoden mit partizipativen Workshopformaten verbinden. Positive erste Erfahrungen mit deliberativen Verfahren aus Großbritannien stellen die Wissenschaftler Lee Edwards und Giles Moss vor. Doch Bürgerbeteiligungsformate bergen auch Fallstricke, wie die Demokratieforscher Detlef Sack und Nora Freier von der Universität Wuppertal analysieren.
Der Medienwissenschaftler Otfried Jarren von der Universität Zürich verweist darauf, dass bei der anstehenden Weiterentwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks die Perspektive auf das publizistische Gesamtsystem, vor allem auf den Journalismus, gewahrt werden sollte. Nicht allein der Erhalt, sondern die Stärkung der strukturellen Diversität des publizistischen Medienmarkts sollte seiner Meinung nach ein zentrales Entwicklungs-, Ordnungs- und Regulierungsziel sein. Dem Journalisten Olaf Steenfadt kommt es dabei auch auf eine Korrektur des seiner Meinung nach missverstandenen Begriffs der Vielfalt an. Er plädiert dafür, Medienvielfalt aus einer Gesamtbetrachtung des Marktes heraus zu definieren.
Ellen Nebel
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