CRISIS IN PERPETUITY? M100 Medienkonferenz in Potsdam

Das Schlosstheater im Neuen Palais war Ort der Veranstaltung. Foto: M100 / Ulf Büschleb

Unter der Überschrift „Von der Dauerkrise zu demokratischer Resilienz“ diskutierten am 6. Oktober rund 80 internationale VertreterInnen aus Medien, Politik und Wissenschaft darüber, welchen Herausforderungen Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Medien aktuell gegenüberstehen und wie die Widerstandsfähigkeit der Demokratie gestärkt werden kann.

Das in Zusammenarbeit mit dem Institut für Medien- und Kommunikationspolitik stattfindende und von Leonard Novy moderierte M100 Sanssouci Colloquium fand in einem Hybrid-Format statt. Der amerikanische Soziologe, Architektur- und Designtheoretiker Benjamin H. Bratton, Professor für Bildende Kunst an der University of California, San Diego, betonte in seiner Eröffnungsrede über „The Revenge of The Real: Politics for a Post-Pandemic World„, dass die COVID-19-Pandemie ein Beweis für die Krise der Kapazitäten – und der politischen Vorstellungskraft – des Westens sei und forderte als Antwort darauf eine „positive“, auch datengetriebene „Biopolitik“. So läge die Lösung zwar nicht in Künstlicher Intelligenz und Big Data, wie sie Facebook und Co. mit ihren „überindividualisierten Nutzerprofilen und Vorhersagen über den nächsten Wunsch, Klick oder Kauf bestehen“ praktiziert werde. Aber wenn eine Gesellschaft sich weigere, „ihre eigenen biologischen Gegebenheiten zu kennen und zu gestalten, indem sie die Mittel für Modellierungen ablehnt“, begehe sie eine „Gewalt der Vernachlässigung“ gegen sich selbst. 

Anschließend erörterten die KonferenzteilnehmerInnen in drei parallel stattfindenden Strategischen Roundtables Merkmale und Voraussetzungen demokratischer Resilienz entlang der Themen Leadership in (Post-)Corona Zeiten, Europas Rolle in der Welt und das Verhältnis von Wissenschaft und Journalismus. Andreas Reckwitz, Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie der Humboldt-Universität Berlin erklärte in seiner Keynote, Resilienz könne zu einem Schlüsselwort der Post-Corona-Ära, für die Politik des 21. Jahrhunderts insgesamt werden. Wolle man eine nachvollziehbare Lehre aus dem Umgang mit der Pandemie ableiten, dann müssen Gesellschaften resilienter werden und „Individuen sollten an ihrer Psyche arbeiten, damit sie an Resilienz gewinnen, und der Staat sollte der Gesellschaft einen Rahmen dafür bieten.“ Gesellschaften kämen besser aus Krisen heraus, wenn Vertrauen in Institutionen bestehe. Sie müssten wie auch Individuen lernen, „dass sie die Zukunft nicht vollständig planen können”. Auf der staatlichen Ebene sei allerdings der Grat schmal zwischen einem Regime zur Prävention von Risiken und einer Hochsicherheitspolitik, während der Pandemie ebenso wie angesichts des Klimawandels. Reckwitz: „Man muss es aushalten, dass sich gesellschaftliche Risiken nicht auf Null reduzieren lassen.”
 
Beim anschließenden Special Talk zum Thema “Die totalitäre Versuchung“ diskutierten Saad Mohseni, afghanisch-australischer Medienunternehmer und Mitbegründer und Vorsitzender der MOBY Group, Dr. Claudia Major, Leiterin der Abteilung Internationale Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), und Dr. Can Dündar, Chefredakteur von Özgurüz.

In seiner Begrüßungsrede zur Verleihung des im Rahmen der Veranstaltung verliehenen M100 Media Award betonte Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) die Bedeutung der Verteidigung der Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft. „Demokratische Resilienz spielt nicht erst seit der Corona-Pandemie eine Rolle“, so Schubert. „In einer sich immer mehr individualisierenden Gesellschaft ist die Frage der Stärkung des Wertes der Gemeinschaft, heute wieder mehr denn je von Bedeutung, wenn wir nicht zuschauen wollen, wie unsere Gesellschaft sich in eine Horde von Individualisten atomisiert.“ Bei aller Pluralität der Meinungen „muss die Toleranz ihre Begrenzung finden in der Abwehr menschen- und demokratiefeindlicher Aussagen. Voraussetzung eines demokratischen Gemeinwesens ist der Schutz von Menschen- und Grundrechten und die Bejahung der Demokratie als Gesellschaftsform. Und dazu müssen alle Gewalten aus meiner Sicht Ihren Beitrag leisten.“
 
M100 ist eine Initiative von Potsdam Media International e.V., die in konzeptioneller Zusammenarbeit mit dem Institut für Medien-und Kommunikationspolitik (IfM) stattfindet und von der Stadt Potsdam hauptfinanziert wird.  

Weitere Informationen: www.m100potsdam.org

Prof. Dr. Andreas Reckwitz, Professor für Allgemeine Soziologie und Kultursoziologie der Humboldt-Universität. Foto: M100 / Ulf Büschleb